Hilfen für die Ukraine US-Waffenlieferungen sind kein Leasing
Von Sebastian Schneider 21.01.2023, 14:37 Uhr
Die These geistert schon länger durch das Internet: Mit ihren milliardenschweren Waffenlieferungen an die Ukraine könnten die USA versuchen, sich selbst zu bereichern. Grundlage dafür soll der "Lend-Lease-Act" sein, den US-Präsident Joe Biden Anfang Mai unterzeichnete und der bereits im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kam. Doch solche Behauptungen sind haltlos. Ein Überblick.
Was haben die USA alles geliefert?
Wenn es nach der Liste der gelieferten militärischen Gütern geht, wurde die Ukraine von keinem Land mehr unterstützt als von den USA. Ähnlich wie die deutsche Bundesregierung hat auch die US-Regierung eine Übersicht des Materials veröffentlicht, das der Ukraine bei der Verteidigung gegen den brutalen Überfall Russlands helfen soll.
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Die Liste reicht von Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge, über Munition für diverse Systeme bis hin zu den "Bradley"-Schützenpanzern. Vor dem Treffen in Ramstein bezifferten die Vereinigten Staaten ihre militärische Unterstützung seit Kriegsbeginn am 24. Februar auf umgerechnet 25,4 Milliarden Euro.
Aber es geht nicht nur um militärisches Material. Neben Geheimdienstinformationen sagten die USA bisher noch weitere Hilfen zu. Nach den Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft belaufen die sich auf rund 25 Milliarden Euro zur humanitären und finanziellen Unterstützung der Ukraine. Zum Vergleich: Die gesamten zugesagten Hilfsleistungen Großbritanniens, dem zweitstärkstem Unterstützerland, betragen 7,05 Milliarden Euro.
Aber wie machen die USA das?
Dafür gibt es mehrere Programme. Seit August 2021 flossen nach US-Angaben fast 16 Milliarden Dollar über die sogenannte Abrufbefugnis des Präsidenten, die "Presidential Drawdown Authority" (PDA). Ohne viel Bürokratie kann US-Präsident Biden damit Waffen und weiteres Kriegsgerät direkt in die Ukraine schicken. Die militärischen Güter stammen aus den Beständen des Verteidigungsministeriums und werden vom Außenministerium koordiniert. Die Höhe der PDA ist begrenzt, der US-Kongress hat das Limit jedoch immer wieder erhöht.
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Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Wege. 2,2 Milliarden Dollar kamen etwa nach US-Regierungsangaben über das "Foreign Military Financing" (FMF), der finanziellen Unterstützung von ausländischem Militär. Das Programm stelle Sicherheiten und Darlehen bereit, damit sich auch andere Staaten davon Waffen kaufen können. Davon profitiere nicht nur die Ukraine, sondern auch andere NATO-Partner an der Ostflanke, damit die ihre Bestände wieder auffüllen können.
Und es gibt ein weiteres großes Programm, den sogenannten "Lend-Lease-Act". Auch damit können die USA unbürokratisch Material an die Ukraine liefern. US-Präsident Biden unterzeichnete das Gesetz am 9. Mai des vergangenen Jahres. Es war ein symbolträchtiger Tag: Russland begeht an diesem Datum den "Tag des Sieges" über Nazi-Deutschland. Damals, im Zweiten Weltkrieg, gab es zum ersten Mal einen "Lend-Lease-Act". Nach dessen Unterzeichnung 1941 profitierte die Sowjetunion noch selbst von dem Gesetz und bekam genauso wie Großbritannien und Frankreich Waffen und Ausrüstung geliefert.
Heißt "Lend and Lease", dass die USA die Waffenlieferungen an die Ukraine nur leihen?
Nein. In der Debatte berufen sich diejenigen, die dem Kreml nahestehen, gerne auf dieses Gesetz. Die These: Die USA wollten sich nur bereichern und würden nach Kriegsende Unsummen aus der Ukraine zurückfordern. Oder, eine weitere Erzählung: Die USA forderten die EU auf, Kiew schneller Geld zu überweisen, um es dann selbst wenig später von der Ukraine abzukassieren.
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An all diesen Spekulationen ist nichts dran. Denn bislang hat die Ukraine nach eigenen und US-Angaben überhaupt noch keine Waffen auf Grundlage dieses Gesetzes bekommen. "Gerade sind wir darauf bedacht, die Abrufbefugnis des Präsidenten dafür zu nutzen, Gerät direkt aus den US-Beständen zu liefern", sagte die stellvertretende Staatssekretärin des US-Verteidigungsministeriums, Laura Cooper, Anfang Oktober. "Denn anders als 'Lend-Lease' gibt es keine Bestimmungen, die eine Erstattung etwa für beschädigte Ausrüstung vorsehen." Deshalb bleibe man der PDA.
Ähnlich äußerte sich Mitte Dezember Oleh Nikolenko, ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums. Dem ukrainischen TV-Sender Hromadske.tv sagte er, dass das Land noch keinerlei Lieferungen über den "Lend-Lease-Act" erhalten habe. Stattdessen liefe die Unterstützung unentgeltlich über die anderen Programme ab. Auch Garret Martin, der Co-Direktor des Transatlantik-Instituts an der American University in Washington, bestätigte dem MDR, dass das Gesetz bislang noch gar nicht angewendet worden sei.
Wie war das im Zweiten Weltkrieg? Waren die Waffen nur geliehen?
Nicht wirklich. Im Wortlaut des Gesetzes hieß es 1941, der US-Präsident könne jedem Land, das er für die Sicherheit der USA als relevant einschätze, Waffen liefern, leihen oder schenken. Doch Präsident Franklin D. Roosevelt machte schon im Vorfeld klar, dass er keine monetären Gegenleistungen von den Europäern erwarte.
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"Angenommen, das Haus meines Nachbars steht in Flammen und ich habe einen ausreichend langen Gartenschlauch", sagte er auf einer Pressekonferenz im Dezember 1940. "Was mache ich jetzt? Ich sage ihm eben nicht, bevor ich anfange zu löschen: 'Nachbar, dieser Gartenschlauch kostet 15 Dollar, du musst mir jetzt auch 15 Dollar zahlen.' Nein!" Er würde lediglich den Gartenschlauch später wiederhaben wollen.
Tatsächlich gingen nach dem Krieg nur wenige Waffen zurück in die USA, auch weil nur wenig Material die Kampfhandlungen unbeschadet überstanden hat. Für die Nationen, die mit den USA verbündet blieben, war der "Lend-Lease-Act" in erster Linie symbolischer Natur: Die Briten zahlten zwar für die gelieferten Waffen, der Preis war aber ein Bruchteil des eigentlichen Wertes. Ohnehin nahm die US-Regierung mit dem Marshall-Plan nach dem Krieg noch zusätzlich Geld in die Hand. Anders war es bei der Sowjetunion: Sie musste fast alle Materiallieferungen zurückzahlen, tat das aber in Form von Rohstofflieferungen.
Und wie handhabt es Deutschland?
Auch Deutschland verlangt für "Marder"-Schützenpanzer und Co. keinen Gegenwert. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums teilte auf ntv.de-Anfrage mit, dass das Material an die Ukraine übergeben worden und somit in deren Besitz übergegangen sei. Die deutschen Waffenlieferungen stammen aus zwei Quellen: entweder aus den Beständen der Bundeswehr oder wurden mithilfe der Ertüchtigungsinitiative bei der Rüstungsindustrie eingekauft. Die Bundesregierung hat das Programm nach Russlands Überfall auf die Ukraine von 100 Millionen auf zwei Milliarden Euro erhöht. Es kam schon früher zum Einsatz: Mit dem Geld sollte "Sicherheit" in Krisenregionen exportiert werden.
Sind dann alle Hilfen geschenkt?
Nein, auch das stimmt nicht. Ende 2022 hat die EU der Ukraine ein 18 Milliarden Euro schweres Darlehen zugesagt. Das Geld wird ab diesem Jahr in regelmäßigen Tranchen ausgezahlt und ist vor allem dafür gedacht, dass Krankenhäuser und Schulen auch in Kriegszeiten weiter geöffnet bleiben können.
Doch die EU-Kommission hat das Darlehen an Bedingungen geknüpft: etwa Reformen auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft und bei der Korruptionsbekämpfung. Trotzdem ist die Finanzierung relativ freundlich: Die maximale Laufzeit beträgt 35 Jahre und die Ukraine muss praktisch keine Zinsen zahlen, die übernehmen die EU-Mitgliedsländer.